Meldung

Tiergestützte Pädagogik in der Jugendhilfe

Kristina Saumweber widmet sich seit vielen Jahren der Tiergestützten Therapie und hat als Mitglied der Forschungsgruppe Mensch und Tier an der Universität Erlangen mehrere Studien in diesem Bereich durchgeführt und begleitet. Jüngst erschien ihre Dissertation mit dem Titel „Tiergestützte Pädagogik in der stationären Jugendhilfe“. Mensch&Tier sprach mit Saumweber über ihre Forschung und deren Bedeutung für die Praxis.

Ihre Dissertation widmet sich dem Einsatz von Tieren in der Jugendhilfe – besonders mit Bezug auf Kinder mit Verhaltensstörungen. Warum ist gerade dieser Bereich für die tiergestützte Arbeit so interessant?

Gerade in der Arbeit mit verhaltensgestörten Kindern und Jugendlichen werden viele von ihnen als „hoffnungslose Fälle" eingestuft. Die Einbeziehung von Tieren in pädagogische Maßnahmen kann aber zu einer Entspannung der Situation führen. Denn Tiere reagieren generell völlig unvoreingenommen auf Menschen und damit auch auf Kinder mit Verhaltensstörungen. Die Tiere begegnen den Kindern und Jugendlichen auch nicht mit Ablehnung. Dies ermöglicht den Beginn eines pädagogischen Prozesses, in dem das für konkrete Situationen angemessene Verhalten gelehrt werden kann.

Von welchen Thesen sind Sie zu Beginn Ihrer Arbeit ausgegangen?

Als erste Hypothese liegt meiner Arbeit die Annahme zugrunde, dass tiergestützte Pädagogik in intensiv-pädagogischen Maßnahmen in einem kürzeren Zeitraum dazu beiträgt, die empathischen Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen positiv zu verändern. Kinder und Jugendliche haben ein sogenanntes internales Arbeitsmodell ihrer Beziehung zu Tieren, das mit dem Modell der menschlichen Bindung vergleichbar ist. Das heißt, aus den Erfahrungen, die das Kind im Umgang mit dem Tier macht, lernt es, sich auch zukünftig in vergleichbaren zwischenmenschlichen Situationen angemessen zu verhalten. Als zweites habe ich daher untersucht, inwiefern tiergestützte Pädagogik dazu beiträgt, diese Bindung zwischen Kind und Tier auch auf die Beziehung zu Menschen zu übertragen und diese nachhaltig zu verbessern.

Welche Schlüsse konnten Sie aus Ihrer Datenerhebung ziehen?

Die Auswertung der AAP-Interviews (Methode zur Erhebung von Bindung) hat ergeben, dass der größte Teil der verhaltensgestörten Jugendlichen bei der Bindung an Menschen einen desorganisierten Status aufweist. Desorganisierter Status bedeutet, dass die Kinder nicht in der Lage sind, klare Bindungsstrategien zu entwickeln. Sie fühlen sich zum einen für den Bindungspartner verantwortlich. Zum anderen versuchen sie aber, durch strafendes Verhalten die Kontrolle über den Bindungspartner zu erhalten. Dies zeigt sich dann in für Außenstehende irrationalem Verhalten. Daraus ergibt sich die Frage, ob sich die positive Bindungserfahrung zum Tier auch positiv auf den menschlichen Bindungsstatus auswirken kann. Die Auswertung der Fragebögen und Interviews hat ergeben, dass signifikante Korrelationen zwischen den sogenannten Empathiewerten und den Auswertungsergebnissen bezüglich der Einstellung und Beziehung zu Tieren bestehen. Es ist anzunehmen, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen einer allgemein positiven Haltung zu Tieren und der Fähigkeit bzw. Bereitschaft, Tiere als Partner für unterstützende Sozialkontakte zu nutzen.

Wie lassen sich Ihre Erkenntnisse in die Praxis übertragen?

Für die Praxis bedeutet das, dass wir unter Einbeziehung von Tieren neue Wege im Umgang mit verhaltensauffälligen Jugendlichen gehen und neue Therapiemethoden etablieren sollten. Die über Jahrzehnte akzeptierten Theorien müssen kritisch hinterfragt werden. Traditionell wird in der Arbeit mit Verhaltensgestörten mit kognitiv-verbalen Maßnahmen gearbeitet. Der Mensch lernt aber hauptsächlich durch emotional-nonverbale Erfahrungen. Tiergestützte Pädagogik in der Jugendhilfe nutzt diese nonverbalen Lernmechanismen.

Der Einsatz von Tieren in der Arbeit mit verhaltensgestörten Kindern und Jugendlichen bietet daher weitaus größere Chancen, die sozialen Beziehungen der Betroffenen nachhaltig und individuell bedeutsam zu verbessern.

Kristina Saumweber ist Diplom-Sozialpädagogin (FH) und promovierte Erziehungswissenschaftlerin. Sie gründete das Institut für Tiergestützte Therapie und Pädagogik (ITTP) und bietet Interessenten individuelle Beratung und Weiterbildung im Bereich der Tiergestützten Arbeit. Fachliche Schwerpunkte hierbei sind Verhaltensgestörtenpädagogik, Tiergestützte Pädagogik und Qualitätsmanagment. Zudem ist Kristina Saumweber Dozentin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Co-Dozentin) und an der Evangelischen Fachhochschule Freiburg.

Weitere Informationen:
www.tiergestuetzt.de 

Neuigkeiten