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Seelendoktor Hund

Seine ersten Jahre verbrachte Mirko mit seiner drogensüchtigen Mutter: Er wurde immer wieder alleingelassen und nur unregelmäßig versorgt. Der neue Freund der Mutter misshandelte den Jungen regelmäßig und als Mirko sechs wurde und seine blauen Flecken nicht mehr länger zu verbergen waren, eskalierte die Lage. Das Jugendamt brachte Mirko in einem Heim unter. Trotz aller liebevollen Betreuung blieb Mirko frech, unkooperativ und gewalttätig. Mirko war es nicht vergönnt, über eine verlässliche und liebevolle Frühbetreuung Grundvertrauen zu entwickeln. Er entwickelte ein, wie es Bindungsforscher nennen, „desorganisiertes Bindungsmuster“.

Leider ist Mirko keine Ausnahme. Und es bedarf keiner Misshandlungen, damit Kinder unsichere, desorganisierte Bindungsmuster entwickeln. Selbst jene Kinder, die in Familien aufwachsen, sind etwa zu 30 Prozent unsicher gebunden. Gründe können eine nicht hinreichend sensible und zugewandte Betreuung in den ersten beiden Lebensjahren, aber auch mögliche genetische Anlagen sein, die es den Müttern schwer macht, eine ungetrübte und enge Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen.

Übertragung unsicherer Bindungsmuster

Ein „unsicheres“ oder „desorganisiertes“ Bindungsmuster, z.B. zur eigenen Mutter, wird oftmals auf weitere Bezugspersonen im Leben übertragen. Das bedeutet sozialen Stress und kann ein Abgleiten in eine kriminelle Karriere fördern. Betroffene Kinder respektieren Betreuer und Lehrer nur schlecht und scheitern oft in Schule, Beruf und Partnerschaften. Soll Mirkos Leben gelingen, ist es daher sehr wichtig, ihm durch fachkundige Betreuung den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu wenigstens einem Menschen zu ermöglichen. Solch „bindungsgeleitete Interventionen“ sind allerdings langwierig. Wenn sich überhaupt ein Erfolg einstellt, kann dies mehr als ein Jahr dauern; eine große Belastung nicht nur für Mirkos Entwicklung, sondern auch für die Nerven der Betreuer und für das Sozialbudget.

Hier können Hunde entscheidend helfen, wie eine Studie von Andrea Beetz, Henri Julius (beide Universität Rostock) und Kurt Kotrschal (Universität Wien) nachwies. An insgesamt 64 Jungen, die aufgrund von instabilen Familienverhältnissen im Heim leben müssen, wurde gezeigt, dass eine soziale Herausforderung in Anwesenheit eines Hundes wesentlich stressfreier bewältigt wird als im Beisein eines Stoffhundes oder eines freundlichen Erwachsenen. Die Kinder wurden dazu in eine Art Prüfungssituation gebracht, die kontrollierten Stress erzeugt („Trierer Stresstest“). Sie wurden gebeten, vor zwei fremden Erwachsenen eine Geschichte zu Ende zu erzählen und Rechenaufgaben zu lösen.

Messung des tresshormons Kortisol

Die aus Speichelproben gemessenen Werte des Stresshormons Kortisol zeigen, dass Kinder in Begleitung eines freundlichen Erwachsenen oder eines Stoffhundes aus der Prüfungssituation wesentlich gestresster herauskamen als im Beisein des Hundes. Die Kinder der Hundegruppe waren am Ende des Tests deutlich entspannter als die Jungen in den beiden anderen Gruppen. Der Wert des Stresshormons in ihrem Speichel fiel sogar unter den Ausgangswert. Allerdings nicht bei allen Kindern in der Hundegruppe. Das Ausmaß der Stressminderung hing davon ab, wie intensiv sich die Kinder auf den Hund einließen. Die bloße Anwesenheit des Hundes als soziale Unterstützung reichte nicht aus; die Kinder mussten sich die positive Wirkung durch Interaktion mit dem Hund selbst abholen.

Ein Hund kann also besonders Kindern mit Bindungsproblemen ein wertvoller Unterstützer sein. Damit konnte ein Mechanismus wissenschaftlich nachgewiesen werden, der erklärt, warum Tiere und hier im speziellen Hunde als wertvolle „vierbeinige Therapeuten“ effizient Hilfe leisten können, wo Menschen die Türen zu verletzten Kinderseelen oft lange verschlossen bleiben. Viele Studien zeigten bereits, dass Tiere die Kommunikationsbereitschaft von Kindern und Erwachsenen verbessern und die Therapiefähigkeit von Kindern entscheidend erhöhen können. So auch in diesem Fall.

Kinder übertragen zwar ihr früh erworbenes Bindungsmuster auf weitere Bezugspersonen, aber offenbar nicht auf einen Hund. Dies bietet die Chance, mit Unterstützung durch einen Therapiehund das Vertrauen von solchen Kindern schneller zu gewinnen – vermutlich, weil die Zuwendung zum Hund das körpereigene Oxytocinsystem aktiviert. Denn unter dem Einfluss eines erhöhten Spiegels des Wohlfühl- und Bindungshormons gelingt es den Kindern besser, ihr Misstrauen gegenüber menschlichen Partnern abzubauen. Unklar bleibt noch, warum nicht alle Kinder die Unterstützung durch den Hund im selben Ausmaß annehmen konnten.

Für die Praxis eröffnen die Resultate wesentlich bessere Voraussetzungen, den Einsatz von Tieren in therapeutischen und pädagogischen Umfeldern gezielt zu planen und noch besser auf die Bedürfnisse von Menschen und Tieren abzustimmen.

Weitere Informationen und Kontakt:
Andrea Beetz und Henri Julius
Universität Rostock
E-Mail: sonderpaedagogik@uni-rostock.de

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